Über die Zeitschrift
Das »Studio 10« der Villa Massimo in Rom war für Bernd Alois Zimmermann ein besonderer Ort. Mehrfach dienten diese Räumlichkeiten ihm und seiner Familie als Stipendiatenwohnung. Für ihn selbst bot sich dort ein zentraler und immer wieder aufgesuchter Arbeitsplatz, den der Komponist auch dokumentiert hat. In zwei Fotos wird der Blick auf die beiden über Eck stehenden Schreibtische im Studio festgehalten: auf einem, vermutlich von Zimmermann selbst angefertigt, ist der Raum ganz leer – es ist ihm offensichtlich wichtig, den Ort selbst abzubilden; das zweite zeigt die Schreibplätze belebt: wie ein Doppelgänger für den üblicherweise hier Arbeitenden hat der Sohn Gereon neben dem in die Arbeit vertieften Vater einen der Plätze mit seinen Malsachen in Beschlag genommen, blickt nun von seiner Tätigkeit auf und in die Kamera. Zimmermann – im ersten Foto selbst Betrachter des Raumes – wird im zweiten Foto zum Objekt der Betrachtung. Er gestattet uns auf diese Weise einen doppelten Blick in diese besondere Werkstatt, der die Bedeutung des Umfelds für seine künstlerische Schreibarbeit erfasst.[1]
Mit diesem doppelten Blick auf den Tisch und vom Tisch her erhebt die Reihe Studio 10. Beiträge der Bernd Alois Zimmermann-Gesamtausgabe den Arbeitsraum in der Villa Massimo zum Programm. Unter diesem Titel schauen wir von unseren Schreibtischen und den zu edierenden Notentexten auf, folgen Impulsen aus der konkreten editorischen Arbeit und öffnen die Perspektive. Die Reihe bietet eine Plattform für die Beschäftigung mit dem Komponisten selbst wie für die Auseinandersetzung mit allgemeinen philologischen und methodischen Fragen im Zusammenhang der kritisch-wissenschaftlichen Edition von Musik nach 1945. Im Zentrum stehen dabei Überlegungen, Fragen, Beobachtungen und Quellenfunde, deren eingehende Erörterung den Rahmen der Vorworte oder Kritischen Berichte zu den jeweiligen Editionsbänden sprengen würde, die andererseits aber nicht in den Archiven und Ablagen der Ausgabe und ihrer Editor:innen verschwinden, sondern der weiteren Forschung zur Verfügung gestellt werden sollen.
Dass Zimmermann seit 2016 eine historisch-kritische Gesamtausgabe seiner Werke gewidmet ist, kommt nicht von ungefähr. Nicht erst zu Jubiläen, wie zuletzt bei den Feierlichkeiten zu seinem 100. Geburtstag 2018, zeigt sich, wie viele von seinen Werken mittlerweile ihren Weg auf die Podien des Konzertlebens gefunden haben – in Deutschland wie auch darüber hinaus. Unter den immer wieder gespielten Stücken sind dabei nicht nur groß angelegte und aus ganz unterschiedlicher Perspektive eindrucksvolle Arbeiten wie Die Soldaten und das Requiem für einen jungen Dichter. Auch zahlreiche Solo-, Kammermusik- und Orchesterwerke wie die Sonate für Viola solo oder das Oboen- und Trompetenkonzert zählen mittlerweile ganz selbstverständlich zum Ausbildungsprogramm junger Musiker:innen oder sind in das Portfolio zahlreicher Symphonieorchester eingegangen, wie Photoptosis. Prélude für großes Orchester, das zur Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie gespielt wurde. Zimmermann ist wie nur wenige Komponisten der Zeit nach 1945 sowohl für immer wieder neu nachwachsende Generationen von Interpret:innen wie auch für das Konzertpublikum weltweit repertoirefähig geworden. Gleichzeitig bleiben die durch die Beschäftigung mit seinem Schaffen und das Erleben seiner Musik aufgeworfenen Fragen aktuell. Dies gilt für Aspekte, die er selbst unter dem Rubrum »Vom Handwerk des Komponisten« zusammengefasst hat,[2] aber auch für die vielfach existenzielle inhaltliche Dimension von Zimmermanns Kompositionen.
Zuverlässige Editionen bilden die Basis für eine langfristige künstlerische wie wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem kompositorischen Werk. Im Rahmen der Bernd Alois Zimmermann-Gesamtausgabe (BAZ-GA) mit ihren Arbeitsstellen in Berlin und Frankfurt am Main wird eine umfassende und philologisch abgesicherte Grundlage hierfür geschaffen. Kritisch-wissenschaftliche Ausgaben der Werke, der Schriften sowie in Auswahl der Korrespondenz werden erarbeitet, um Informationen zu den editionsrelevanten archivalischen Quellen ergänzt und in hybrider, also gedruckter und online zugänglicher Form bereitzustellen.[3] Ermöglicht wird dies durch die Aufnahme der BAZ-GA in das Akademienprogramm der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, durch die vielfache Unterstützung der beiden Heimatakademien der Ausgabe, der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, durch den Bund und die Länder Berlin und Hessen als Zuwendungsgeber. Zentral ist überdies die enge Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern des Vorhabens, dem Verlag Schott Music, dem Archiv der Akademie der Künste in Berlin, dem Westdeutschen Rundfunk (WDR), der Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem Zentrum Musik – Edition – Medien (ZenMEM) an der Hochschule für Musik Detmold / Universität Paderborn, sowie der lebendige Austausch mit dem Konsortium NFDI4Culture im Rahmen der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur.
Mit Studio 10 wendet sich die BAZ-GA über die Noteneditionen hinaus an eine interessierte Öffentlichkeit. Die Reihe erscheint in loser Folge als eine rein elektronische Open-Access-Publikation. Dies bietet einen leichten Zugang zu den Beiträgen sowie die Möglichkeit der Einbindung in das gesamte Web-Angebot der BAZ-GA. Zugleich lassen sich auf diese Weise, wenn nötig, auch mediale Inhalte in flexiblerer und erweiterter Form in die Texte einbetten.
Für die Unterstützung dieser Reihe bedanken wir uns sehr herzlich bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, bei unseren Kooperationspartnern, sowie, last but not least, bei Bettina und Wimar Zimmermann, die unsere Forschungen nicht nur durch ihre Großzügigkeit, sondern auch durch ihr stetes Interesse nachhaltig unterstützen und fördern.
Schließlich gilt unser herzlicher Dank den Kolleg:innen der Plattform musiconn.publish, namentlich Sabine Koch, Andrea Hammes und Christian Kämpf, nicht nur für die Aufnahme der Reihe in dieses Repositorium, sondern auch für die konstruktive und immer geduldige Begleitung bei ihrer technischen und gestalterischen Implementierung.
Mehr zur BAZ-GA unter: www.zimmermann-gesamtausgabe.de
[1] Zahlreiche weitere Abbildungen der Zeit aus Rom und auch aus dem Studio 10 finden sich in: Bettina Zimmermann: Con tutta forza. Bernd Alois Zimmermann. Ein persönliches Portrait. Dokumente, Briefe, Fotos, Zeitzeugen, begleitet von Rainer Peters, Hofheim 2018, v. a. S. 191–218, 269–299 sowie in der von ihr zusammengestellten Bildstrecke »Bernd Alois Zimmermann. Ein deutscher Komponist in Italien«, in: Man müßte nach Rom gehen. Bernd Alois Zimmermann und Italien, hrsg. von Sabine Ehrmann-Herfort, Adrian Kuhl, Matthias Pasdzierny und Dörte Schmidt, Kassel u.a. 2020 (Analecta musicologica 55), S. 274-279.
[2] Bernd Alois Zimmermann: »Vom Handwerk des Komponisten«, in: ders.: Intervall und Zeit, hrsg., eingeleitet und kommentiert von Rainer Peters, mit Fotografien von Bernd Alois und Sabine Zimmermann, zusammengestellt von Bettina Zimmermann und Peter Mischung, 2. vollständig überarbeitete und erweiterte Ausgabe, Hofheim, Mainz 2020, S. 144–152.
[3] Zu Konzept, Aufbau und personeller Ausstattung des Vorhabens s. www.zimmermann-gesamtausgabe.de.